Die ersten Tage unseres diesjährigen Abstechers nach Bassano waren nicht direkt von Euphorie und Vorfreude geprägt. Am Anreisetag regnete es, für die darauf folgenden Tagen prognostizierten fast alle Wettermodelle Föhn und damit grenzwertige Bedingungen, jedenfalls nicht das Wetter, was wir uns für unser kleines Projekt vorgestellt hatten. Wir wollten nämlich in diesem Urlaub unseren ersten Hunderter aka „Hunni“ fliegen und damit aus dem Klub der „UHUs“ (Unterhunderter) in den der „ÜHUs“ wechseln. Jawohl, Gleitschirmpiloten sind speziell. 😉 Doch nach und nach verbesserten sich die Prognosen, sodass sich für uns ein paar viel versprechende Flugfenster ergaben, in denen die Wolkenbasis mit rund 1500m hoch genug war und nicht mit zu viel Gegenwind zu rechnen war.
Der Plan
Der Flugplan war klar: Wir wollten am Beppi starten, zunächst nach Osten bis zum Monte Tomba, also bis kurz vors Piavetal, fliegen und dort den östlichen Wendepunkt setzen. Fortan sollte es nach Westen gehen, am Startplatz vorbei, über das Brentatal, und über den Rubbio und Lusiana bis nach Schio. Dort würde die große Talquerung zum Monte Sumano auf dem Plan stehen. Der westliche Wendepunkt sollte rund einen Kilometer westlich vom Monte Calliano sein. Schließlich müssten wir dann noch den Weg zurück nach Bassano fliegen und hätten unseren ersten Hunderter im Sack! Klingt machbar, und Teile davon waren wir beide ja auch schon wiederholt geflogen. Also los…
Der Flug nach Osten
Am Startplatz warteten wir, bis die Thermik an war und starteten dann zügig. Der Weg in Richtung Osten warf keine neuen Fragen auf. Ich beeilte mich, drehte die Thermiken nicht aus, sondern flog in der Höhe ab, die ich für den nächsten Thermikanschluss brauchte. Ich wollte diesen ersten Flugteil einfach möglichst schnell abspulen, um hintenraus mehr Zeit zu haben. So war ich dann auch recht zügig am östlichen Wendepunkt und kehrte in Richtung Westen um. Und dann passierte es… Ich war einen Tucken zu tief und schaffte es auf dem Rückweg nicht ganz zur ersten sicheren Thermik und sackte im flachen Bereich unter die Geländekante. Ich merkte, wie ich mich über mich selbst geärgert habe. Hätte ich doch die letzte Thermik einfach ein bisschen länger ausgedreht, wäre das Problem gar nicht entstanden. War ich zu offensiv gewesen? Die einsickernde Enttäuschung war spürbar und lähmte mich für ein paar Sekunden. Doch dann schob ich die fatalistischen Gedanken beiseite, besann ich mich auf meine „fliegerischen Skills“ und buddelte mich auch relativ zügig wieder aus. Dass ich an dieser Stelle mental nicht weiter abgerutscht bin, freut mich richtig. Noch vor ein paar Jahren hätte ich an dieser Stelle vermutlich den Flug abgebrochen (und mich danach tierisch darüber geärgert)! Cool, dass das jetzt anders läuft, das ist für mich ein großer Erfolg! 🙂
Weiter nach Westen
Der weitere Weg nach Westen war fliegerisch kein Problem. Der Startplatz war schnell passiert, nun stand der Brentasprung an. Etwas nördlich des Oststartplatzes stand eine schöne Thermik, die für die Querung erforderliche Höhe hatte ich also schnell erreicht und flog los. Direkt auf der gegenüberliegenden Talseite konnte ich gleich wieder Höhe machen und so ging es dann auch weiter. Die Bärte standen da, wo ich es mir dachte. Ich flog die Themiken konsequent an, adaptierte meine Linie immer wieder und befand mich nach 2,5 Flugstunden vor dem weitem Schiotalsprung. Hier kurbelte bereits ein Segelflugzeug, zu dem ich mich gesellte – mit Segelflugzeugen zu fliegen, ist immer wieder cool! 🙂 Ich konnte in diesem Bart noch einmal gut aufdrehen und im Anschluss die lange Talquerung nutzen, um etwas zu essen und zu trinken. Gerade auf längeren Flügen ist es für mich besonders wichtig, hin und wieder etwas zu trinken. Das hält meine Konzentrationsfähigkeit oben und liefert neue Kräfte! Die Snacks habe ich eigentlich nur zum Trainieren der Handgriffe in Vorbereitung auf hoffentlich irgendwann noch längere Flüge gegessen.








Unentdeckte Weiten
Am Monte Sumano mit seiner ikonischen Jesus-Statue ging es wieder gut hoch – ab jetzt kam Neuland für mich. Weiter war ich in Bassano noch nie geflogen. Wir hangelten uns weiter in Richtung Westen vor und kurbelte das erste Mal am Tag eine Thermik bis in die Wolke aus. Schon bald kam der Wendepunkt in Sicht. Ich versicherte mich am Funk noch einmal bei E. – „Das ist doch schon der Wendepunkt, oder?“. Was für ein schönes Gefühl! Über die Hälfte war bereits geschafft, jetzt mussten wir „es „nur noch“ zurück fliegen. E. und ich waren ja direkt hintereinander gestartet, sind aber Großteile der Strecke getrennt voneinander geflogen. Hin und wieder haben wir uns dann in der Luft wieder getroffen, haben eine Thermik gemeinsam gekurbelt, bis wir andere Wegabschnitte wieder unterschiedlich angegangen sind. Am westlichen Wendepunkt drehten wir noch einmal bis in die Wolke auf und machten uns auf den Heimweg.
Beinaheunfall
Nein, ich bin nicht aus dem Himmel gefallen, und doch wäre es beinahe zu einem unschönen Zwischenfall gekommen – zumindest für E. … 😀 Weiter oben habe ich ja geschrieben, dass ich während der Talquerung etwas getrunken hatte. Nun, was oben nachgefüllt wird, muss unten wieder raus, nicht? So natürlich auch beim Fliegen. Wir nutzen dafür Urinalkondome, die Hinterlassenschaften werden dann auf direktem Weg über einen Schlauch nach außen geführt. Ich hatte mir dafür eine Stelle ausgesucht, in der am Boden garantiert keine Wanderer unterwegs sein konnten. E. flog etwas tiefer ca. 30 Meter vor mir, es konnte also nichts schief gehen! Ich kontrollierte noch einmal alles: War der Schlauch fest? Hatte sich keine Verbindung gelöst? Schaute das Schlauchende auch tatsächlich aus dem Gurtzeug heraus? Das ist nämlich immer so ein Thema – schließlich will man ja nicht sein Gurtzeug, den Rettungsschirm und die Kleidung einsauen… Check, check und check, also los! Und wie es so aus dem Schlauch tröpfelte und sich bei mir die damit verbundene Erleichterung einzustellen begann, bemerkte ich, wie E. vor mir eine Wende einleitete und quasi direkt in Richtung meiner Tröpfeleien zu fliegen begann! 😀 Glücklicherweise konnte ich noch schnell einen Haken schlagen und E. die unangenehme Überraschung ersparen! Puh, alles gut gegangen!
Der Weg zurück
Nach dieser kleinen Aufregung am westlichen Wendelpunkt ging es also wieder zurück. Bis zum Monte Sumano zeigten Themikwolken die Bärte an, aber auf Höhe der Jesusstatue ging das Basteln los…. Gleich mehrere Piloten hatten an der Stelle Probleme, zügig aufzudrehen. Irgendwie zog nichts richtig durch. Wir probierten es hier und da – es reichte aber überall bei weitem nicht aus, um den Rücksprung über das weite Tal in Angriff nehmen zu können. Letztlich habe ich dann etwas abseits der anderen doch einen guten Bart gefunden, konnte aufdrehen und machte mich alleine auf den Rückflug übers Tal. Auf der Gegenseite konnte ich zunächst nur hochachtern, weiter oben fand ich dann aber sehr schöne Thermiken, die mich ruckzuck wieder an die Basis katapultierten. Geschafft! 🙂 Der weitere Weg zurück zum Brentatal war dann ein toller Mix aus Wolkenfliegen und sehr schönen Gleitpassagen. Ich hatte eine gute Linie gewählt, kam gut voran, konnte immer wieder ohne Umwege aufdrehen, fand schließlich auch vor der Brenta noch einmal einen guten Bart, querte das Tal und kam auf der Gegenseite mit deutlicher Überhöhung über dem Oststartplatz an!
Und die Kür
Eigentlich war jetzt alles geschafft! Nur noch am Garden Relais landen, und der Hunni wäre im Sack. 🙂 Ich flog noch einmal zu den Südstartplätzen, macht jenseits der Drachenrampe noch einmal richtig Höhe und flog dann in Richtung Garden Relais ins Flache. Auf dem Weg dahin fand ich noch einen Flachlandbart, kurbelte ihn genüsslich aus und verlängerte den Flug noch ein kleines bisschen in Richtung Süden, bevor ich dann endlich nach 6,5 Flugstunden überglücklich am Garden Relais gelandet bin! Natürlich habe ich sofort das Vario gecheckt, den Flug hochgeladen und noch einmal gescheckt – tatsächlich, der Hunni war geschafft! 🙂 Ich spürte einen Mix aus Erleichterung, Stolz und Glück, stand noch eine Weile in voller Montur da, bis ich es dann endlich wirklich realisierte und die Anspannung von mir abfiel. Nun war ich also kein UHU mehr, sondern bin nun im Klub der ÜHUs. 😉

Zahlenspielerei
Der erste Hunni ist so eine Sache. Aber sagt es wirklich etwas über das Können einer Pilot:in aus, ob nun 99,8 oder 100,1 XC-Kilometer zurückgelegt worden sind? Sicherlich nicht. Sind Zahlen generell Schall und Rauch? Ist jeder Hunni gleich viel wert? Klar, in der XC-Szene sind die zurückgelegten Kilometer natürlich DIE Metrik, was auch sonst? Ich kann mich natürlich auch nicht davon frei machen, und doch war mir das immer ein bisschen zu wenig. Irgendwie spielen noch viele andere Punkte eine Rolle. Wie waren denn die Bedingungen? War der Flug für mich selbst herausfordernd? Habe ich Dinge geschafft, die früher für mich nicht erreichbar gewesen wären, steht der Flug also auch für (m)eine persönliche fliegerische Entwicklung? Musste ich im Flug selbst Entscheidungen treffen und bin selbst offensiv und eigenständig geflogen? Oder bin ich „nur“ jemandem hinterher geeiert?
Vermutlich stellen sich diese Fragen nur, weil mir das Fliegen an sich zunehmend flüssiger von der Hand geht, auch wenn da natürlich noch jede Menge Potenzial nach oben ist.
Ich freue mich über meinen ersten Hunni, weil es für mich eben nicht „Fliegen nach Zahlen“ war, bei dem ich lediglich einem Strecken-Crack hinterher geflogen wäre und quasi keine Entscheidungen hätte treffen müssen. Nein, von Anfang an habe ich den Flug in die eigenen Hände genommen, habe die flugtaktischen Entscheidungen selbst getroffen und war einen Großteil der Strecke auch alleine unterwegs, auch wenn im weiteren Umfeld immer mal wieder Mitflieger am Himmel waren. Diesen bin ich aber bewusst nie stumpf hinterher geflogen, sondern habe im Flug immer abgewogen, ob sich deren Entscheidungen (wo stehen die besten Thermiken, wie ist die günstigste Linienwahl, bis zur welcher Höhe kurbelt man eine Thermik, wann fliegt man ab zur nächsten usw.) mit meinen Einschätzungen decken und habe mich dann sehr oft auch anders entschieden und bin gut damit gefahren! Und ich freue mich sehr darüber, dass ich im Osten die für mich psychologisch heikle Stelle gut gemeistert hatte. Der Flug war für mich also kein Geschenk, auch wenn die Bedingungen sehr gut waren.
Und erst das Überwinden dieser Hindernisse, das selbst bestimmte Fliegen und meine persönliche fliegerische Entwicklung dahin macht diesen Hunni für mich zu einem Meilenstein! Ich habe mir selbst bewiesen, dass ich nun offensichtlich in der Lage bin, auch die längeren Strecken zu fliegen, ohne auf direkte Hilfe anderer angewiesen zu sein. Und ich freue mich riesig, dass ich mit meinem Mentor E. fliegen kann, ohne ihn aufzuhalten. Und das macht mich schon ein wenig stolz! Dass auch E. an diesem Tag seinen ersten Hunni geschafft hat, setzt dem Ganzen dann natürlich noch die Krone auf! 🙂
Was geht besser?
Fliegerisch bin ich eigentlich zufrieden. Ich habe das umsetzen können, was ich mir vorgenommen hatte. Um in Zukunft noch besser und effizienter unterwegs sein zu können, muss ich allerdings daran arbeiten, mein Fluginstrument intensiver zu nutzen. Das geht mir ATM noch nicht so flüssig von der Hand, besonders in turbulenteren Bedingungen. Aber besonders in Gegenden, in denen ich mich nicht gut auskenne, ist es unumgänglich, zumindest ab und zu über die Bildschirmseiten des Variometers huschen zu können, ohne das als Last/Anstrengung zu empfinden. Aber das wird schon noch…
Die Umarmung am Landeplatz mit E. und U., das Knuddeln der „süßesten Hündin weit und breit“ aber auch die lieben Gratulationen und Kommentare der Flugfreunde werden mir noch lange in Erinnerung bleiben! Ich freue mich auf weitere tolle weite und lange Flüge! 🙂
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