Nach mehreren Jahrzehnten (mein Gott, ich bin alt… ;-D ), in denen ich in anderen Wanderregionen unterwegs war, blicke ich endlich, endlich, endlich wieder auf die mir noch vertraute Silouette der Hohen Tatra und spüre dabei einen Mix aus Vorfreude, Neugierde, Nostalgie und dem Gefühl, nach Hause zu kommen. So seltsam das auch klingen mag. Ich habe noch Erinnerungsfetzen im Kopf, wie ich als 5-Jähriger Knirps auf dem Kriváñ und dem Rysy stehe, an bestimmte Wegabschnitte, an Bergseen, daran, wie ich staunend die Lastenträger beobachtet habe, die mit ihren überdimensionierten Holzkraxen die Berghütten mit all den Dingen versorgen, die dort gebraucht und verkauft werden…

Der Kriváñ (dt.: Kriwan, Ochsenhorn, Krummhorn) war der erste Berggipfel in meinem Leben, und so ist es irgendwie ein schöner Zufall, dass ich auch in diesem Urlaub zuerst diesem populären Tatra-Gipfel einen Besuch abstatten werde. Ich bin in der Hauptferienzeit an einem Samstag unterwegs und rechne mit einem großen Andrang. Deswegen will ich recht zeitig starten und sehr schnell aufsteigen.

Ganz links oben steht der charakteristische krumme Zacken des Kriváñ, gesehen (an einem anderen Tag) vom Štrbské Pleso aus.

Kurz vor 6 Uhr steige ich am Štrbské Pleso aus der Zahnradbahn aus und folge auf den ersten Kilometern der Tatramagistrale, dem gut ausgebauten Weg, der zu Füßen der Hohen Tatra verläuft und somit eine Art Rückgrat des Wegenetzes darstellt. Nach rund einer Stunde zügigen Gehens biege ich einen Steinwurf vom Jamské Pleso entfernt rechts in Richtung Kriváñ ab, von nun an geht es den Bergrücken in mehr oder weniger gerader Linie nach oben.

Zunächst führt ein schmaler Pfad durch wunderschöne Blumenwiesen, schon bald wird der Weg etwas breiter, steiler und steiniger und schraubt sich durch den Wald nach oben, um schließlich in offenes Latschengelände zu münden. Hier habe ich einen tollen Blick zurück zum Štrbské Pleso und hinüber zur Niederen Tatra. Vor mir sehe ich allerdings noch nicht allzu viel.

Dabei wäre zumindest der Vorgipfel meines heutigen Zieles, der Kleine Kriváñ, eigentlich auch die meiste Zeit sichtbar. Zum Zeitpunkt meines Aufstiegs liegt die Wolkenuntergrenze allerdings noch bei rund 2000 m, Vor- und Hauptgipfel schlummern also noch in den Wolken. Eine einzelne Gämse taucht schemenhaft aus dem Grau hervor, begrüßt mich mit einem lauten Ruf und schaut mir eine Weile hinterher, bevor sie wieder verschwindet. Es wird zunehmend kühler. Ich ziehe trockene Kleidung an, trinke etwas und versuche, meine Kindheitserinnerungen zu sortieren: Der Kriváñ war mein erster Berggipfel und ich erinnere mich vage an Blockklettereinlagen kurz vor dem Gipfel. Diese Passage ist nur noch wenige Gehminuten von mir entfernt. Schon bald passiere ich die Stelle, an der sich beide Kriváñ-Zugänge vereinigen und fortan den Endanstieg miteinander teilen. Jetzt sehe und höre ich zum ersten Mal einige vereinzelte andere Wanderer.

Von jetzt an geht es steil nach oben, immer wieder muss ich auch die Hände zu Hilfe nehmen. Die Blockkletterei ist dabei technisch nicht wirklich anspruchsvoll, trockenes Wetter ist aber definitiv von Vorteil, Trittsicherheit meiner Meinung nach zwingende Voraussetzung! Kurz nachdem ich den Kleinen Kriváñ passiert habe, also nur noch 160 Höhenmeter vor mir liegen, erbarmt sich die dicke Wolkensuppe, reißt hier und da auf und lässt dabei einige Blicke in die Tiefe und die Ferne zu!

Was für ein Glück! Ich genieße die letzten Meter des Aufstiegs und komme bereits nach rund 3:20 Stunden Gehzeit ab Štrbské Pleso mit einem Riesengrinsen auf dem Gesicht auf dem Gipfel an. Hier stand ich schon als kleiner Junge! Komisch, wie sehr mich das anfasst, jetzt nach all den Jahren erneut wieder hier stehen zu können und kleine Erinnerungsfetzen mit neuen Eindrücken komplettieren zu können. Mittlerweile ist der Blick fast komplett frei, nur noch wenige Wolken ziehen in hohem Tempo die steilen Hänge hoch. Ich suche mir an der Ostseite des Gipfel einen ruhigen Platz und genieße den traumhaft schönen Blick hinunter zum Krivánske Zelené Pleso und den Nižné Terianske Pleso und hinüber zu all den Gipfeln, die für mich wahre Verheißungen für andere Wanderungen darstellen! Toll!

Beim Abstieg wird schnell deutlich, wie gut das Timing meines zeitigen Aufstiegs doch gewählt war. Mittlerweile sind sehr viele Menschen am Berg unterwegs. Kein Wunder, der Kriváñ gehört mit Sicherheit zu den populärsten Gipfeln des Gebirges! Kurzerhand entscheide ich mich gegen die geplante Abstiegsroute über den Partisanenbunker, weil mir das Treiben auf diesem Weg einfach eine Spur zu bunt wird. Ich gehe also auf dem deutlich weniger begangenen Weg hinunter, über den ich einige Stunden zuvor schon aufgestiegen bin.

Was für ein Glück, meinem ersten Gipfel erneut einen Besuch abgestattet haben zu können und dabei quasi während des ganzen Aufstiegs alleine mit dem Berg gewesen zu sein!

Gesamtstrecke: 20289 m
Maximale Höhe: 2457 m
Minimale Höhe: 1324 m
Gesamtanstieg: 1491 m
Gesamtabstieg: -1460 m
Gesamtzeit: 06:47:06

Disclaimer
Ich beschreibe auf meiner kleinen Website natürlich nur meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen. In der Bergen seid Ihr selbstverständlich eigenverantwortlich unterwegs. Bitte nutzt vor Euren Touren die mannigfaltigen Informationsmöglichkeiten im Netz, die einschlägige Literatur (z.B. den Wanderführer „Hohe Tatra“ von Václav Klumpar, ISBN: 978-3-7633-4503-8) und/oder konsultiert die Informationsstellen vor Ort. Viel Spaß in den Bergen!

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